Die Relevanz der deutschen Politikwissenschaft stärken: Angesichts globaler Krisen zeigt sich die Bedeutung des sozialwissenschaftlichen Sachverstands einmal mehr
* * *
Völlig zu Recht haben die beiden deutschen Politikprofessoren Frank Decker (Universität Bonn) und Eckhard Jesse (TU Chemnitz, inzwischen emeritiert) in einem aufrüttelnden Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im April 2016 beklagt (siehe hierzu unter: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/politikwissenschaft-und-ihre-lage-der-in-der-oeffentlichkeit-14186054.html), dass die Lage der Politikwissenschaft in Deutschland doch recht desaströs sei. Sie sprachen von „Fach ohne Ausstrahlung“ und monierten die kaum vorhandene Stimme dieses sozialwissenschaftlichen Fachs in der Öffentlichkeit. Gleichzeitig beklagten sie die Dominanz von Juristen, Ökonomen, Philosophen und Historikern sowie das Schweigen der jüngeren Generation mit politikwissenschaftlicher Expertise. Mit anderen Worten: Die Politikwissenschaft hierzulande läuft Gefahr, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Neben den „Zwängen der Drittmitteleinwerbung“ und der Notwendigkeit zur Platzierung eigener Publikationen in einschlägigen referierten englischsprachigen Fachzeitschriften zeichnet sich eine zunehmende Spezialisierung und Selbstgenügsamkeit ab.
Auch wenn sich manches innerhalb des Faches zwischenzeitlich zum Positiven gewendet haben mag, ist noch Luft nach oben. Angesichts des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 in der Ukraine, der eine „Zeitenwende“ in Europa, wie dies der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich in einer Regierungserklärung zum Ausdruck brachte, einleitete und damit das Neudenken der europäischen Sicherheitsordnung endgültig erforderlich macht, mag es makaber klingen, aber es schlägt nun die Stunde der Politikwissenschaft! Junge und ältere Vertreter(innen) des Faches sollten jetzt ihre Chance ergreifen und selbstbewusst und ohne Scheu die Bühne nutzen, die sich ihnen bietet, um sich Gehör zu verschaffen und eine Lanze für ihre eigene Zunft zu brechen. So erschütternd und tragisch Anlässe wie der gerade ausgebrochene Krieg in der Ukraine auch sind: Wer geglaubt hat, dass die Politikwissenschaft sprichwörtlich tot sei und keine Relevanz mehr besäße, der wird sich dieser Tage eines Besseren belehren lassen müssen. Wir, damit meine ich die politikwissenschaftliche Community in ihrer ganzen Breite, sollten nun endlich zeigen, dass wir mit unseren Methoden und Theorien, aber auch mit der Idee im Gepäck, wissenschaftliche Analysen praxisnah zu vermitteln, wichtige Erklärer(innen) und Ratgeber(innen) sein können für scheinbar nicht erklärbare Ereignisse und Phänomene internationaler Politik sowie der – in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung eher randständigen – Außen- und Sicherheitspolitik. Ich rufe euch zu: Traut euch, wagt euch – und geht nach vorn!
(Hinweis: Der Beitrag steht Ihnen hier als PDF-Datei zum Download zur Verfügung.)