
Von Sascha Arnautović
Der gestrige Tag dürfte all diejenigen Lügen gestraft haben, die zuvor noch gedacht hatten, dass eine zweite Amtszeit Donald J. Trumps schon nicht so schlimm werden würde. Doch das, was sich gestern im Weißen Haus in Washington zutrug, sucht in der Geschichte US-amerikanischer Präsidenten seinesgleichen. Was war genau geschehen? Präsident Donald Trump und sein Vizepräsident JD Vance haben den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj offenbar absichtlich vor laufenden Kameras ins offene Messer laufen lassen. Der Streit im Oval Office eskalierte vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Zahlreiche Nachrichtensender berichteten über den Eklat. Eigentlich war Selenskyj wegen des geplanten Rohstoffabkommens (Stichwort: „seltene Erden“) in die US-Hauptstadt gekommen. Zu allem Überfluss verlangte man dann auch noch von ihm, mehr Dankbarkeit zu zeigen und seine Haltung zu ändern. Trumps Amtsvorgänger Joe Biden wurde bei der Gelegenheit von ihm als „dumme[r] Präsident[…]“ verunglimpft.
Ungeachtet dieser lautstarken Auseinandersetzung und der heftigen Vorwürfe der US-Seite gegenüber Präsident Selenskyj sind die Folgen dieses Eklats nicht nur für die Ukraine ein Schlag ins Gesicht, sondern auch für „EU-Europa“. Es zeigt sich einmal mehr, dass sich die USA in der zweiten Amtszeit Trumps bewusst immer weiter von Europa entfernen werden, sodass es immer wahrscheinlicher wird, dass die Sicherheit der Ukraine und des europäischen Kontinents insgesamt – zumindest in den nächsten vier Jahren – nicht mehr durch die Vereinigten Staaten gewährleistet wird. Die Männerfreundschaft mit Putin und die bewusste Annäherung Trumps und seiner Regierung an Russland (vielleicht auch geprägt von der Idee vermeintlich guter Geschäfte mit Moskau) bringen neben der Ukraine auch EU-Europa immer stärker unter Zugzwang. Was bedeutet nun diese Erkenntnis ganz konkret für die europäischen Hauptstädte?
Nun, da Donald Trump offensichtlich bereit ist, bis zum Äußersten zu gehen, sollte in Europa endlich der Groschen fallen: Die Regierungen der Staaten der Europäischen Union und der europäischen Länder müssen endlich nach vielen Jahren des Zögerns und Zauderns sicherheitspolitisch erwachsen werden. „Trumps Amerika“ (Josef Braml) ist nicht mehr länger an Europa interessiert und bricht damit eindeutig mit den bisherigen Grundprinzipien US-amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik. Gleichzeitig geht im Inneren der USA eine gefährliche Aushöhlung der Demokratie vonstatten durch zum einen eine starke Machtkonzentration und zum anderen einen radikalen Staatsumbau. Die einstige „Vorbild-Demokratie“ Amerika ist seit Donald Trumps Einstieg in die Politik nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sollte das so weitergehen, wird in einigen Jahren nicht mehr allzu viel übrig sein von den Vereinigten Staaten, wie wir sie in Europa früher kannten. Das Ganze ist ein Albtraum für die liberalen Demokratien des Westens, die ohnehin schon genug durch autoritäre Regime wie Russland und China herausgefordert werden. Sie scheinen ihrerseits wild entschlossen zu sein, die bisherige westliche Dominanz in der internationalen Politik zu brechen und stattdessen selbst die Führung in der Welt des 21. Jahrhunderts zu übernehmen.
Trumps Inaugurationsrede am 20. Januar dieses Jahres im US-Kapitol, der Auftritt von Vance am 14. Februar auf der 61. Münchner Sicherheitskonferenz und nun der Eklat mit Selenskyj am 28. Februar im Weißen Haus sind vermutlich nur der Anfang von weiteren Schockmomenten, die den westlichen Staaten von der bisherigen Führungsmacht USA noch bevorstehen. Daher muss jetzt endgültig klar sein, dass es keinen weiteren Aufschub mehr geben darf. Es ist nun an der Zeit, dass Europa selbst die Verantwortung für den Kontinent übernimmt und immer stärker daran arbeitet, so schnell wie nur irgend möglich abwehrbereit und verteidigungsfähig zu sein. Russland und China werden nicht lockerlassen und ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Amerika ist nicht mehr das „Reich des Guten“ (Lothar Rühl), sondern zunehmend – zumindest unter Präsident Trump – das „Reich des Bösen“ (Ronald Reagans Bezeichnung für die frühere Sowjetunion). Das einstige „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ hat seinen politischen Kurs radikal geändert, glaubt immer weniger an demokratische Werte und das Völkerrecht, sondern eifert immer mehr der „Macht des Stärkeren“ nach. Die transatlantische Wertegemeinschaft entfernt sich somit zunehmend voneinander, was das Ende des Westens, wie wir ihn kennen, eines Tages sein könnte.
Umso wichtiger erscheint im europäischen Kontext zum einen die uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine als Bollwerk gegen die innere und äußere russische Bedrohung an den Grenzen unseres Kontinents, zum anderen muss Europa mündig werden und seinen notwendigen militärischen Anstrengungen über die nächsten Jahre unbedingt nachkommen, damit dann endlich eine neue europäische Friedens- und Sicherheitsordnung geschaffen werden kann, ob mit den USA oder ohne sie. Es ist höchste Zeit aufzuwachen, mutig zu sein und nach vorne zu gehen, sich von strategischen Erwägungen leiten zu lassen sowie europäisch zu denken und zu handeln. Jetzt ist die Stunde Europas, lang lebe Europa!
